
2. AUSGANGSSITUATION BEI DER AKQUISITION IM JAHR 1999
2.1 RAHMENBEDINGUNGEN
Ende der 90er Jahre waren drei große Umbrüche, die das Glücksspielgeschäft betroffen haben, absehbar bzw. gegeben:
– Aufkommen der Internetgeschäftsmodelle durch den Technologiewandel
– Liberalisierung im Glückspielbereich
– Weltweiter Boom an den Wachstumsbörsen
Aufkommen der Internetgeschäftsmodelle durch den Technologiewandel
Die Möglichkeit, neue Geschäftsmodelle abzubilden, über welche Anbieter und Kunden über das Internet anonym und rasch zusammengeführt werden konnten, hat auch die Glücksspielindustrie angesprochen. Wettbüros oder Spielhallen hatten Ende der 90er-Jahre oft einen schlechten Ruf. Anonym im Internet Poker, Casino- bzw. Geschicklichkeitsspiele oder Sportwetten durchzuführen, war ein Novum.
Ein weiterer Vorteil bestand bei den Internetgeschäftsmodellen darin, dass man mit einer Plattform eine große Anzahl von Kunden weltweit erreichen konnte und nicht wie im klassischen Retail Geschäft zahlreiche Filialen mit teilweise hohen Investitionskosten errichten musste. Die Vorteile des Vertriebs über das Internet waren neben der überdurchschnittlichen Fixkostendegression, die unbegrenzte Skalierbarkeit sowie die Möglichkeit einer integrierten Wertschöpfungskette.
Liberalisierung im Glückspielbereich Ende der 90er-Jahre
Das Wettgeschäft war ursprünglich stark reguliert und unterlag rechts- und gesellschaftspolitischen Wertungen. In Bezug auf die Regulierung bzw. Monopolisierung kann der Glücksspielmarkt in drei Segmente eingeteilt werden:
– In gewissen Jurisdiktionen, z.B. in China war das Glücksspiel generell verboten.
– In Europa waren Wettgeschäfte entweder ganz oder teilweise verboten oder bedurften einer Konzession. In Deutschland beispielsweise bestand ein staatliches Monopol, welches sich auf Lotterien, Wetten, Sportwetten und Spielbanken bezog.
– In manchen Ländern wie z.B. England war das Glücksspiel unter strenger Aufsicht auch von privaten Anbietern durchführbar.
Mit Aufkommen der Internetgeschäftsmodelle und der Dienstleistungsfreiheit mehrten sich auch Liberalisierungsdiskussionen betreffend der Glücksspielbranche. Eine einheitliche, europaweite gesetzliche Regulierung für Wettgeschäfte, die über das Internet betrieben wurden, gab es damals nicht (Anm. 1). Einerseits wies das Medium Internet erst eine relativ kurze Bestandsdauer auf, andererseits existierten keine gesicherten Erkenntnisse über die Anwendung nationaler Gesetze auf im Internet verbreitete Inhalte und Dienstleistungen. Mehrere Klagen waren beim Europäischen Gerichtshof wegen Verletzung der garantierten Dienstleistungsfreiheit auf Grund der staatlichen Monopole im Glücksspielmarkt anhängig. Man rechnete mit einer Liberalisierung des Marktes in Europa und somit mit einem offenen Zugang für private Anbieter zum Markt.


Weltweiter Boom an den Wachstumsbörsen
Durch Börsengänge an der NASDAQ, aber auch in Europa am Neuen Markt in Frankfurt, in Zürich oder Wien konnten junge Start-up Unternehmen, vor allem solche, die auf ein Internetgeschäftsmodell aufbauten, hohe Kapitalsummen für ihre Expansion zu sehr attraktiven Bewertungen aufbringen.
Am Neuen Markt in Deutschland beispielsweise, der erst Anfang 1997 seinen Handelsstart hatte, boomten die innovativen Branchen, allen voran Tech-Maschinenbau, Software, IT und Entertainment sowie Internet und Biotechnologie. Hohe Renditen und zahlreiche Neu-Emissionen lockten Anleger in die neuen Geschäftsmodelle.
Die Bewertung von Internetunternehmen war – insbesondere unter Berücksichtigung der oft nicht vorliegenden Substanz – schwer nachvollziehbar bzw. problematisch. Market-Multiples als Bewertungsbasis heranzuziehen war aufgrund der frühen Lebensphase der Internetunternehmen, welche noch in der Verlustzone lagen oder auf Grund fehlender Vergleichszahlen schwierig. Somit fanden die langfristigen Wachstumserwartungen in den Börsenkursen ihren Niederschlag. Großteils wurde ein Kurspotential über das Abschätzen von künftigen Gewinnen bzw. Umsatzwachstum und Price/Sales abgeschätzt oder Unternehmenswerte auf Basis der Kundenzahlen hochgerechnet.
Global Equity Partners als VC-Unternehmen hat vor allem für Mitteleuropa Geschäftsmodelle analysiert, die im Internet abgebildet werden konnten. Neben dem Glücksspiel wurden auch Finanzdienstleistungen und der Arzneimittelvertrieb (Internetapotheken) analysiert. In allen drei Bereichen wurden Unternehmen gegründet, um am aufkommenden Erfolg dieser Geschäftsmodelle teilzuhaben. Neben bwin im Sportwettengeschäft wurden im Jahr 2000 auch die mymed.cc Handels- und Betriebs-AG (Online-Apotheke) sowie die Montana Securities Financial Services AG im Finanzdienstleistungsbereich gegründet.
Mymed.cc konnte nicht reüssieren, die Finanzdienstleistungsgesellschaft Montana Securities entwickelte sich jedoch später zufriedenstellend mit einem anderen Geschäftsschwerpunkt und firmiert heute unter Ithuba Capital.
2.2 DER GLÜCKSSPIELMARKT
Wachstumschancen 1999
Der Gaming Markt war der am stärksten wachsende Markt der Unterhaltungsindustrie (Anm. 2). Der Gaming Markt kann in die beiden Bereiche regulierter (land-based) und unregulierter (online) Markt unterteilt werden. Der Anteil des Online-Gaming-Marktes am gesamten Glücksspielmarkt war Ende der 90er-Jahre der am schnellsten wachsende Sektor mit zweistelligen Wachstumsraten pro Jahr. Der Markt für Internet-Wetten zeigte ein derart starkes Wachstum, da die Marktakzeptanz des Internets insbesondere in Europa bereits gegeben war, die technologischen Möglichkeiten jedoch noch nicht voll ausgeschöpft waren. Die Abbildung 2 zeigt eine Markteinschätzung der bwin aus dem Jahr 2000 für den Markt in Österreich.

Laut damaliger Prognose der Agentur Datamonitor sollte der Markt für Online-Sportwetten bis 2004 von EUR 30 Mio. auf EUR 2,3 Mrd. wachsen. Dies entsprach einem jährlichen Wachstum von 138%.

Wettbewerbssituation
Der Markt für Online-Gaming war Ende der 90-er Jahre noch stark fragmentiert, da es eine Vielzahl von Nischenanbietern mit unterschiedlichen technologischen Systemen gab. Die Markteintrittsbarrieren waren allerdings gering.
Die großen englischen Buchmacherketten wie Ladbrokes, William Hill und Coral starteten ebenfalls erst mit einem Internetauftritt. Die beiden größten österreichischen Buchmacher, Admiral Sportwetten und Wettpunkt, hatten zum damaligen Zeitpunkt noch kein Internetgeschäft. Aufgrund der restriktiven Haltung der USA in Bezug auf Wetten im Internet zeigten die amerikanischen Glücksspielunternehmen keinerlei Internetambitionen.
bwin verfügte zwar über einen First-Mover- Vorteil, hat sich jedoch schnell durch technologische Innovationen, wie z.B. die Live-Wetten und ein starkes, neues Marketing, das sich vom herkömmlichen Wett-Marketing unterschied, einen Stand-alone-Vorteil erarbeitet.
2.3 GESCHÄFTSMODELL
Die Angebotspalette im Online-Gaming Markt kann in Wetten, Casino, Poker und Games unterteilt werden. Vorab wird noch auf die für alle Bereiche relevante Ergebnismechanik eingegangen.
Relevante Kennzahlen und Ergebnisdynamik
Das Gaming-Unternehmen verdient den Bruttorohertrag (od. Bruttospielertrag) – nämlich die Differenz zwischen Spieleinsatz (Umsatz) abzüglich ausbezahlter Gewinne.
Weitere Einnahmequellen für Online-Gaming-Unternehmen sind Provisionen, Werbeeinnahmen und Einschreibgebühren.

Bei hoher Spielfrequenz ist der Umsatz nicht aussagekräftig. Casino, Poker oder Automaten haben eine hohe Spielfrequenz. Diese führt zu einem ständigen Kreislauf von Gewinn und Verlust, wobei durch einen ständigen Wiedereinsatz des Geldes ein hoher kumulierter Umsatz/ Spieleinsatz pro Spieler generiert wird. Somit ist der Rohertrag die einzig geeignete Kennzahl und nicht der Umsatz.
Die Rohertragsmarge spiegelt das Verhältnis aus Bruttospielertrag und Umsatz je Spieleinsatz dar. Eine hohe Spielfrequenz ermöglicht auch eine präzisere Kalkulation des Rohertrages, da die Schwankungsbreite der Rohertragsmarge geringer wird.

Im Jahr 1999 machten Sportwetten 55% des Umsatzes des gesamten europäischen Online-Glückspielmarktes aus. Online-Casinos und Lotterien benötigten eine aufwändigere Software, die noch nicht entwickelt war. Innerhalb weniger Jahre haben sich jedoch die Segmente Casino und Lotto zu den Marktführern entwickelt.

Je nach Segment funktioniert das Geschäftsmodell wie folgt:
Wetten
Die Wettquote ist der relative Gewinn, den man mit einer gewonnenen Wette erzielen kann. Die Quote wird vom Buchmacher, der aufgrund seiner sportlichen Erfahrung, des allgemeinen Interesses und der Nachfrage der Wett-Teilnehmer die möglichen Ausgänge der Ereignisse bewertet, festgelegt. Er schätzt damit die Wahrscheinlichkeit für ein Wettereignis. Ist die Quote eher niedrig, wird dieses Ergebnis mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintreten. Ist die Quote jedoch hoch, wird das Ergebnis mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit eintreten. Eine Wettquote kann fix oder variabel sein (Anm. 3).
